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26.02.2011

» Ernst gemeinte Verpflanzung oder Augenwischerei? - Teil 2

Eine fachlich kommentierte Dokumentation der Verpflanzung von 16 Bäumen

Die Ankündigung des AK-Baumpaten, Infoveranstaltungen an den nicht geheim zu haltenden Standorten der verpflanzten Restbäume durchzuführen, führte zu einem weiteren Großeinsatz – diesmal nicht von der Polizei, die sich nur bedeckt im Hintergrund aufhielt, sondern bei der Firma Zöller-Arbor, die nun zu kaschieren versuchte, was durch uns längst dokumentiert war. Wir blickten wieder mit unseren Fachaugen auf das Ergebnis: Großbaumverpflanzung – vom Luftschloss zur Sandburg 21.

Stammheim, Kastanienreihe am Bolzplatz gegenüber der JVA

Am Tage unserer ersten Exkursion waren alle Ballen bereits mit einem zur Verpflanzung geeigneten Substrat abgedeckt. Die Bäume wurde nicht mehr umgesetzt, es handelte sich also, wie vermutet, um die endgültigen Standorte bzw. Pflanzgruben. Alle Bäume wurden mit einer Seilverankerung versehen, alle Stämme mit einer Matte als Verdunstungsschutz umwickelt. Aus den großen Pflanzbeeten ragten Drainagerohre heraus. Soweit sah alles überaus beeindruckend aus.

Und genau dieser Effekt scheint bei den Maßnahmen im Vordergrund gestanden zu haben. Denn der erste Teil unserer Dokumentation zeigt deutlich fachliche Mängel auf, die im Widerspruch stehen zu dem An-sinnen, Bäume vor der eigenen Kettensäge retten zu wollen.

Die Bäume wurden also nicht in neue, angepasste Pflanzgruben versetzt. Auch wurden die Pflanzgruben nicht erweitert oder vertieft. Das Substrat wurde nicht eingeschlämmt. Es ist also mit großen Hohlräumen unter den Ballen und im Randbereich der Pflanzgruben zu rechnen. Ein Kronenschnitt ist nicht erfolgt. Und die Abdeckung mit grobem Rindenmulch entspricht ebenfalls nicht den fachlichen Anforderungen.

Schon diese Versäumnisse stellen ein Anwachsen der Bäume in Frage, erst recht wenn man die schweren Verletzungen hinzunimmt, die durch das Ausgraben am Bahnhof entstanden sind. Betrachtet man sich die nach einer Woche eilig erfolgten Abschlussarbeiten, scheinen diese Maßnahmen selbst auch nicht so angelegt zu sein, dass die ausführenden Firmen von einem Anwachsen bzw. einer längeren Pflege ausgehen.

Die Bäume haben an ihrem ursprünglichen Standort vor dem Hauptbahnhof wichtige stadtökologische und ästhetische Funktionen ausgefüllt. Durch die nicht fachgerechte Behandlung sind sie an den neuen Standorten dazu nicht mehr in der Lage. An den meisten dieser Standorte sind sie sogar verzichtbar, überflüssig oder fehlbesetzt.

Diese als Großbaumverpflanzung bezeichnete Aktion hat aber allen deutlich gemacht, dass die Parkbäume im Schlossgarten nicht verpflanzbar sind. An den wesentlich kleineren Exemplaren sind die angeblich besten Fachfirmen bereits gescheitert. Das trifft auch auf die Deutsche Bahn AG zu, die der Öffentlichkeit zeigen wollte, eine Kernforderung aus dem Schlichtungsverfahren zu Stuttgart 21 erfüllen zu können.

Pflanzgruben

Stammheim, Kastanienreihe; Die hohen Pflanzbeete ragen in das Spielfeld…

Die Bäume wurden in zu kleine Pflanzgruben gesetzt, die Ballen ragten deutlich über das umgebende Gelände hinaus. Eine sachgerechte Geländemodellierung hat nicht stattgefunden. Es wurde lediglich der Aushub für die der Bewässerung dienenden Drainagerohre um die Ballen verteilt bzw. als 40 cm hoher Beetrand aufgehäuft. Zusätzlich wurden große Mengen des Substrates zum Aufbau der Ränder verwandt.

In Stammheim wird diese Anhäufung von großen Beeten besonders widersinnig, weil sie auf den Bolzplatz ragen. Die verwendeten Anker stehen bereits senkrecht, sind locker und stellen eine große Verletzungsgefahr für spielende Kinder dar. Die Oberkanten der Anker sind nicht entgratet, die Enden der Stahlseile sind nicht verdrillt.

Die vorgefundenen Beete täuschen also lediglich großartige Ballen und Pflanzgruben vor.

Standortwahl

Zuffenhausen, Platane; Das Gießrohr beginnt auch noch am tiefsten Punkt…

Am Nordausgang des Hauptbahnhofes hatten die Bäume einen angemessenen Standort, an dem sie wichtige Funktionen erfüllt haben. Es wäre zu erwarten gewesen, wenn man schon 200.000 € ausgibt, dass man Standorte auswählt, an denen die Bäume mit ihren Eigenschaften auch funktional richtig stehen. Umgekehrt sollten die neuen Standorte auch den Ansprüchen der Bäume genügen. Derartige Überlegungen waren aber wohl nachrangig.

Vorrangig muss sich die Standortauswahl aber an dem Zustand und den Erfordernissen eines verpflanzten Großbaumes orientieren. Es muss ausreichend Platz sein für eine fachgerechte Pflanzgrube. Es darf keine Konkurrenz durch andere Bäume bestehen. Die Bäume müssen sich ohne Gefährdung der Umgebung verankern lassen. Die Standorte müssen rund um den Baum gleichartige Bodenverhältnisse und ein ebenes Geländeprofil aufweisen. Denn der Baum muss zu allen Seiten gleichmäßig anwachsen können.

Zuffenhausen, Kastanie; Ein paar starke Regenfälle und der Ballen liegt wieder frei…

Diese Grundsätze wurden sträflich vernachlässigt. An allen Standorten können die daraus folgenden Probleme erkannt werden. An den hängigen Plätzen werden die Erdwälle abrutschen, die Bäume würden nur einseitig anwachsen. Die Verankerungen weisen durch beengten Platz ungünstige Winkel auf oder setzen zu tief an.

Seilverankerung

Die Seilverankerung erscheint zunächst mit einer Vierpunktsicherung beeindruckend. Diese wäre der Höhe und dem Kronenvolumen der Bäume angemessenen. Allerdings wurden nur zwei Schlingen verwendet, die Bäume sind damit auch nur in zwei Richtungen gegen Windwurf gesichert.

Die verwendeten Seile sind zu dünn und werden sich bei Belastung in die Rinde einschnüren. Dagegen schützen auch nicht die Gartenschlauchstücke. Und jeder weiß, wie lange dieses Material bei Frost und Son-neneinstrahlung haltbar ist. Zudem sind die Schlauchstücke vielfach zu kurz, die Stahlseile scheuern also bei Belastung auf der Borke. Da die Schlingen auch noch über Kreuz geführt werden, sind bei Windbelastung weitere Lockerungen bis an die wackeligen Anker zu erwarten. Im Übrigen schädigen diese Würgeschlingen auch den Baum.

Zuffenhausen, Götterbaum; Stufige Schnittflächen, zu tiefer Ansatz der Verankerung

Alle Seilverankerungen sind ungeeignet, den Baum vor dem Umstürzen zu sichern, da sie viel zu niedrig, ca. 3 Meter bei Baumhöhen um 10 Meter, angesetzt sind. Wahrscheinlich haben sich die Arbeiter selbst nicht auf eine Anlegeleiter getraut, weil die hohen Bäume mit ihren kleinen Ballen dann schon umgestürzt wären.

Die Seile selbst sind sämtlich locker, bisweilen durchhängend, was bei der eigentümlichen Verbindung von jeweils zwei Seilen auch nicht groß verwundert.

In keinem Fall ist diese Befestigung geeignet, die Stämme und Ballen so zu fixieren, dass ein Abreißen neugebildeter Wurzeln verhindert wird.

 

Schnittwunden und Beschädigungen

Cannstatt, Eisenholzbaum; Prachtgehölz in Schmuddelecke

An den Bäumen wurden zahlreiche starke Äste abgesägt, um den Transport zu erleichtern.

Die Schnittwunden wurden nicht nachbehandelt, so dass mit Pilzbefall zu rechnen ist. Auch starke Beschädigungen der Borke blieben unbehandelt.

Viele Beschädigungen wurden durch den Verdunstungsschutz oder den Rindenmulch abgedeckt, so dass die Fäulnisgefahr noch erhöht wird.

Kronenschnitt

Das notwendige Beschneiden der Kronen wurde unterlassen. Dadurch besteht ein extremes Missverhältnis zwischen der zu versorgenden Blattmasse und den zur Verfügung stehenden Wurzeln. Das wird auch durch verstärktes Gießen nicht auszugleichen sein.

Der fehlende Rückschnitt erhöht die Belastungen auf die Verankerung und den Wurzelbereich. Da einige Kronen ungleich geformt sind, besteht bei den entsprechenden Bäumen zusätzlich die Gefahr, dass sie sich neigen oder umstürzen.

Verdunstungsschutz

Die verwendeten Bastmatten sind zwar grundsätzlich geeignet, einen Stamm vor Verdunstung zu schützen, allerdings gibt es bessere Methoden.

In den meisten Fällen jedoch wurden die Bastmatten im handelsüblichen Format von 2 Meter Höhe um den Stamm gewickelt, auch wenn der Stammbereich deutlich höher ist.


Cannstatt, Platanen und Kastanie; Ungenügende Verankerung für großkronige Bäume.

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Dipl.-Ing. der Landespflege Jochen Schwarz, Dipl.-Ing. der Landespflege Renate Koppen; Fotos von Alex Schäfer.