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17.02.2011

» Ernst gemeinte Verpflanzung oder Augenwischerei?

Eine fachlich kommentierte Dokumentation der Verpflanzung von 16 Bäumen

Am 8.2.2011 begann die Firma Eurotree-Zöller-Arbor damit, in drei Tagen 16 Bäume am Nordausgang des Stuttgarter Hauptbahnhofes zu verpflanzen. Der Auftrag wurde durch die Deutsche Bahn AG für 200.000 EUR vergeben. Es wurde beständig verlautbart, nur das Beste zur Rettung der Bäume unternehmen zu wollen. Wir haben das Ergebnis einer fachlichen Überprüfung unterzogen – es wird verständlich, dass man die neuen Standorte geheim halten wollte.

Die Verpflanzung wurde mit zwei Rundspatenmaschinen mit einem Arbeitsdurchmesser von 250 und 300 cm durchgeführt. Die Bäume hatten Stammumfänge von bis zu 150 cm und Höhen bis zu 14 Meter. Es handelt sich um neun Kastanien, fünf Platanen, einen Götterbaum und einen mehrstämmigen Eisenholzbaum (Parrotie). Sie standen auf dem Parkplatz in Pflanzbeeten. Die Bäume wurden mit den Spatenmaschinen unter Polizeischutz im Stadtgebiet verteilt – nach Stammheim als Randbegrenzung eines Bolzplatzes, auf den Friedhof in Zuffenhausen und an den Wasen in Bad Cannstatt. Die Bäume wurden nicht vorübergehend eingeschlagen, sondern direkt in Löcher am beabsichtigten Standort gesetzt.

Die Firma Zöller-Arbor mit fünf Kastanien am Bolzplatz gegenüber der JVA Stammheim

Die Firma Zöller-Arbor mit fünf Kastanien am Bolzplatz gegenüber der JVA Stammheim

Alle Pflanzstellen wurden von uns aufgesucht, vermessen und begutachtet. Die hier gezeigten Bilder sind ein Auszug aus einer wesentlich umfassenderen Sammlung. Sie dokumentieren gravierende Fehler, die nur unter großem Aufwand zu korrigieren sind. Ob dadurch die z.T. schwer beschädigten Bäume zu retten sein werden, ist fraglich. Deutlich wurde, dass man hier, durchgängig, nicht mit der gebotenen Fachkunde und Sorgfalt vorgegangen ist. Wir möchten dies im Folgenden an verschiedenen fachlichen Aspekten aufzeigen.

Ballendurchmesser

Die Firma Zöller-Arbor verwendete ihre größte Rundspatenmaschine mit einem Nenndurchmesser von 300 cm. Ein Ausheben von Löchern in weichem Boden mag damit möglich sein. Auch das Ausgraben von regelmäßig verpflanzten Bäumen in einer Baumschule sollte möglich sein, ohne die Ballen zu zerstören. Bei lange Zeit eingewachsenen Bäumen ist jedoch effektiv nur ein deutlich kleinerer Ballen mit dieser Technik möglich. Da die Bäume in einbetonierten Pflanzbeeten gestanden haben, findet sich meist eine dichte Durchwurzelung mit dicken Hauptwurzeln, die von der Maschine nicht durchtrennt werden können. Das führt zu Ballenabrissen im Nahbereich des Stammes und zu massiven Wurzelbeschädigungen. Die verbliebenen kleinen Ballen im Verhältnis zur Höhe der Bäume, zum Teil noch aufgelockert durch den Transport, erschweren die notwendige Befestigung gegen Windwurf.

Besondere Bedeutung kommt dem Feinwurzelsystem des Baumes zu. Es findet sich besonders im Traufbereich der Krone. Die Bäume weisen Kronendurchmesser von ca. 5 Metern auf. Der größte Teil des Feinwurzelsystems wurde durch das unvorbereitete Ausgraben, ohne vorjährigen Ballenstich, und die kleinen Ballen entfernt.

Cannstatt, Platane; Ballendurchmesser ca. 2 Meter Cannstatt, Platane; Ballendurchmesser ca. 2 Meter
Cannstatt, Platane; Parkende Autos am Ballen Stammheim, Kastanie; 40 cm Abstand zum Stamm
 
Stammheim, Kastanie; Ballendurchmesser < 2 M  
Cannstatt, Parrotie; ca. 60 cm Abstand vom Stamm Stammheim, Kastanie; 60 cm Abstand zum Stamm
Zuffenhausen, Kastanie; Ballenabriss Zuffenhausen, Kastanie; Ballendurchmesser 1,8 M
Zuffenhausen, Götterbaum; Ballenabriss bei 40 cm Zuffenhausen, Platane; Ballenabriss bei 40 cm

Pflanzgrube

Der Pflanzgrube für einen Baum kommt eine sehr hohe Bedeutung zu, soll er doch hier vernünftig anwachsen können. Die Pflanzgrube sollte doppelt so groß sein wie der Ballen. Der gewachsene Boden im Randbereich und am Grund muss aufgelockert werden und darf keinesfalls durch maschinelle Bearbeitung verdichtet sein, damit eine gute Verzahnung von Boden und Wurzeln möglich ist. Die Bildung von Staunässe ist unbedingt zu verhindern, damit beschädigte Wurzeln nicht zu faulen beginnen. Das Substrat zum Auffüllen muss luft- und wasserdurchlässig sein, aber trotzdem ausreichend Feuchtigkeit speichern können.

Die vorgefundenen Pflanzgruben sind sämtlich zu klein dimensioniert und wurden anscheinend mit der kleineren Rundspatenmaschine ausgehoben. Ein treffliches Beispiel hat die Firma Zöller-Arbor auf dem Friedhof Zuffenhausen hinterlassen – und man fragt sich wofür es gedacht war…

Zuffenhausen, Pflanzgrube; Obere Feierhalle Zuffenhausen, Pflanzgrube; keilförmig 250x120 cm
Zuffenhausen, Pflanzgrube; Staunasser Pseudogley Zuffenhausen, Pflanzgrube; Tonig-schluffiger Boden

Kronenschnitt

Will man Bäume verpflanzen, so ist ein Kronenschnitt erforderlich, um die Verdunstung von Wasser auf die beeinträchtigte Aufnahmefähigkeit der Wurzeln zu reduzieren. Ansonsten würde ein Baum wohl noch Austreiben, aber innerhalb kürzester Zeit vertrocknen. Es müssen glatte Schnitte ausgeführt werden, damit sich keine Fäulnis bilden kann. Der Schnittrand darf nicht ausgefranst oder gar ausgerissen sein, damit der Baum in der Lage ist, die Schnittwunde zu überwallen. Bei den meisten Baumarten ist deshalb der Schnitt eng am entstehenden Ast zu führen, weil überstehende Stummel ebenfalls faulen und nicht eingewachsen werden können. Im Normalfall sollten die zu beschneidenden Äste nicht dicker als 10 cm sein.

Bei den vorgefundenen Bäumen wurden keine Kronenschnitte durchgeführt. Schnittmaßnahmen erfolgten nur, um die großen Kronen überhaupt transportfähig zu machen. Diese Schnitte selbst sind unfachmännisch durchgeführt worden und weisen Stufen und Rissbildungen auf.

Cannstatt, Parrotie; Schnittwunde im Boden, 23 cm Zuffenhausen, Götterbaum; Stufige Kronenstummel
Cannstatt, Parrotie; Transportschaden Zuffenhausen, Götterbaum; Stufig geschnittener Starkast
Zuffenhausen, Götterbaum; Geschnittener Starkast Zuffenhausen, Götterbaum; Schnittbruch

Geländeoberkante

Bei der Verpflanzung von Bäumen ist darauf zu achten, dass der Ballen mit der Geländeoberkante am neuen Standort bündig abschließt. Steht der Ballen zu hoch aus dem Boden heraus, werden die Wurzeln vom Regen freigewaschen, versinkt er unter das umgebende Niveau, bilden sich Staunässe und Fäulnis am Stamm, besonders wenn schon Vorschädigungen vorhanden sind. Wurde der Baum nicht korrekt eingesetzt, könnte dies aufwändige Geländemodellierungen erforderlich machen.

Die Mehrzahl der Bäume wurde in zu kleine Pflanzgruben gesetzt, die Ballen stehen bis zu 40 cm aus dem Boden heraus. Die verbliebenen, sehr empfindlichen Feinwurzeln sind Wind und Sonne ausgesetzt. Eine Geländemodellierung scheint an vielen Standorten auf Grund der Gegebenheiten nicht möglich.

Cannstatt, Parrotie; Frei stehender Ballen Cannstatt, Platane; 20cm über Gelände stehend
Stammheim, Kastanie; 20 cm über Gelände stehend Stammheim, Kastanie; 20 cm über Gelände stehend
Stammheim, Kastanie; 20 cm über Gelände stehend Zuffenhausen, Götterbaum; 40 cm über Gelände
Zuffenhausen, Platane; 40 cm über Gelände stehend Zuffenhausen, Platane; Frei stehender Ballen

Feinwurzelsystem

Das Feinwurzelsystem eines Baumes dient der Wasser- und Nährstoffaufnahme. Bei der Verpflanzung von Bäumen kommt den Feinwurzeln eine besonders hohe Bedeutung zu. In diesem Bereich werden auch neue Wurzeln gebildet. Ein Austrocknen der Feinwurzeln ist irreversibel – deshalb werden die Ballen normalerweise vor Austrocknung geschützt und feucht gehalten. Bäume die nach dem Ausgraben noch nicht eingepflanzt werden können, werden in einem Graben eingeschlagen und die Ballen mit Erde überdeckt und gewässert. Wenn der Baum in die Pflanzgrube gesetzt wurde, sind die umgebenden Hohlräume aufzufüllen und einzuschlämmen.

Die Feinwurzeln der Ballen ragen in vielen Fällen aus dem Boden heraus oder liegen gänzlich frei. Um die Ballen herum sind z.T. knietiefe Hohlräume, in denen die Wurzeln ebenfalls austrocknen.

Cannstatt, Platane; 30 cm tiefer Hohlraum Cannstatt, Platane; Knietiefer, breiter Hohlraum
Stammheim, Kastanie; Freiliegende Feinwurzeln Stammheim, Kastanie; Freiliegende Feinwurzeln
Zuffenhausen, Platane; Knietiefer Hohlraum Zuffenhausen, Kastanie; Freiliegende Feinwurzeln

Standorte

Die Auswahl der Standorte von Bäumen hängt eng mit ihren Ansprüchen zusammen. Bei der Verpflanzung von Großbäumen ist zusätzlich darauf zu achten, dass der Pflanzbereich und künftige Kronenbereich frei von Störungen ist. Zudem sollten die Bäume auch entsprechend ihrem Habitus verwendet werden.

Schaut man sich die Standorte an, so gibt es doch erhebliche Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Auswahl. Die Parrotie mit ihrer herausragenden Herbstfärbung und ihren schon im Februar erscheinenden schönen Blüten ist direkt, und viel zu eng, an eine Mauer gepflanzt. Bei den viel zu engen Abständen zu Wegen und Strassen sind Beeinträchtigungen des Wurzelraumes zu erwarten. Es ist auch zweifelhaft, wie eine korrigierende Geländemodellierung der nicht niveaugleich eingesetzten Bäume bei den eng bemessenen Standorten erfolgen soll.

Cannstatt, Parrotie; zwischen Straße und Mauersockel gequetscht Cannstatt, Platane; Standort im Kronenbereich vorhandener Bäume
 
Cannstatt, Parrotie; Aufgehende Blüten Cannstatt, Platane;Parkende Autos im Wurzelraum
Zuffenhausen, Kastanie; Abschüssiges Gelände am Wegrand Zuffenhausen, Platane; Abschüssiges Gelände am Wegrand

Verankerung

Eine Verankerung gepflanzter Bäume ist zwingend erforderlich, um ein Anwachsen zu ermöglichen. Der Stamm muss absolut fest stehen, damit die sich neu bildenden Wurzeln bei Windbewegungen nicht wieder abreißen. Für kleinere Bäume genügen Holzpfähle, bei größeren sind Holzgestelle erforderlich. Bei den versetzten Großbäumen sind darüber hinaus abgespannte Seilverankerungen nötig, da ihre Kronen zum Teil sehr hoch ansetzen.

Der an den gewählten Standorten zur Verfügung stehende Platz wird angemessene Verankerungen erschweren. Durch die viel zu kleinen Ballen, die freien Hohlräume und die ungünstige Statik stellen die Bäume derzeit eine Gefährdung der Verkehrswege dar, sobald es zu windigerem Wetter kommt!

Cannstatt, Platane; Frei stehender Großbaum Zuffenhausen, Platane; Frei stehender Großbaum

Sonstiges

Zu den weiterhin erforderlichen Maßnahmen gehört ein Verdunstungs-, Frost- und Sonnenschutz der Baumstämme. Da an vielen Bäumen alte Stammschäden sichtbar sind, müssen diese zuvor fachgerecht versorgt werden.

In vielen Ballen ist zudem noch alter Unterwuchs zu finden, der den Bäumen in ihrem extrem geschwächten Zustand eine zu starke Nahrungskonkurrenz sein wird.

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Dipl.-Ing. der Landespflege Jochen Schwarz, Dipl.-Ing. der Landespflege Renate Koppen; Fotos von Alex Schäfer.