Aktiv gegen Stuttgart 21Aktiv gegen Stuttgart 21
10.02.2013

» Eine zivilisatorische Grenze wurde überschritten

Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen

Vor einem Jahr begann die Zerstörung des Mittleren Schlossgartens. 177 Bäume wurden gefällt, ein Erholungsraum von 55.000 Quadratmetern verwüstet. Der Widerstand gegen Stuttgart 21 sollte unbedingt gebrochen werden, indem man den Menschen diesen symbolträchtigen Ort nimmt, ihn einfach ausradiert. Diese Rechnung ist nur zum Teil aufgegangen. Zum Teil deshalb, weil diese Schändung so unfassbar, so schockierend, so nachhaltig ist, dass es vielen bis heute die Sprache verschlägt. Insgesamt ist der Widerstand etwas leiser geworden. Aber die Rechnung, ihn zu beseitigen, ist nicht aufgegangen. "Ihr kriegt uns nicht los, wir Euch schon!"

Es zeigt sich heute deutlich, dass keine einzige der angeblich erforderlichen Baumaßnahmen umgesetzt werden konnte. Viel schlimmer noch, auch alle anderen Prognosen sind eingetroffen: das Projekt ist nicht sicher finanziert; es fehlen weiterhin, für die Umsetzbarkeit wesentliche, Planfeststellungen; es wird keinen Abbau des Gleisvorfeldes geben; der bestehende Bahnhof wird immer leistungsfähiger sein, als die geplante, unterirdische Haltestelle. Dazu glänzt die Bahn mit Entgleisungen im Neubaubereich und einem lebensgefährlichen Zustand des Bahnhofsdaches.

Nun also jährt sich die Rodung des Mittleren Schlossgartens zum ersten Mal. Es fällt schwer, etwas dazu zu schreiben, sich zu erinnern (vielleicht geht es so: Memory). Es fällt schwer, entlang der Bauzäune und Gitter durch die Brachenlandschaft zu gehen – und viele von uns müssen das täglich erdulden. Es fällt schwer, die Erinnerungen in Worte zu fassen – und viele von uns müssen das, um sich vor Gericht für ihr Verhalten zu verteidigen. Es fällt schwer, all die Bilder und Videos zu sichten, damit die Wahrheit über diesen Tag nicht verfälscht werden kann. Wir alle müssen das leisten – immer wieder, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.


Am 15.2.2012 wurde eine Schandtat vollzogen, für die es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung gibt. Die hinterlassene Brache ist ein Symbol für die Sinnlosigkeit der Tat, eine Schande für die Verantwortlichen – mehr aber auch nicht. Denn keinerlei Bautätigkeit hätte der Zerstörung einen Sinn geben können.

Die Zerstörung des Mittleren Schlossgartens ist ein Fanal in der Stuttgarter Stadtgeschichte. Stuttgart 21 hat das Potential, dem weitere Marken hinzuzufügen, denn das Projekt steckt voller Risiken, falscher Versprechungen, offensichtlichem Betrug. Das Projekt und seine Denkweise haben die politische und juristische Kultur durchsetzt. Das zeigt die Taktiererei der Politiker ebenso, wie die skandalösen Urteile der Gerichte und die Untätigkeiten der Aufsichtsbehörden.

Stuttgart 21 ist nicht nur ein Problem der Stuttgarter, sondern eines des 21. Jahrhunderts. Wenn sich alle Institutionen unter eine "Projektförderpflicht" knechten lassen, kann man nicht mehr von einer demokratischen Gesellschaft sprechen. Sollte die Rodung des Schlossgartens rückblickend jemals einen Sinn ergeben, dann nur den einen, das die schädlichen Strukturen beseitigt werden, die den heutigen Zustand erst ermöglicht haben.


Der Stuttgarter Schlossgarten, die königlichen Anlagen, waren schon früh im 19. Jahrhundert den Bürgern geöffnet. An diesem Ort hat nichts anderes eine Berechtigung, als ein öffentlicher Garten, ein Freiraum für Mensch und Natur, in dem der Aufenthalt und der Austausch, Sinnlichkeit und Muße ein Zentrum haben. Stuttgart 21 muss beendet werden. Der Mittlere Schlossgarten muss wiederhergestellt werden. Das ist, in der Tat, alternativlos.

Oben Bleiben!
Arbeitskreis Baumpaten
Dipl.-Ing. Jochen Schwarz