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14.09.2012

» Noch zwei Wochen - es geht wieder weiter

Auf halber Strecke halten, kommt nur im Bahnbetrieb vor

Am 1.10. beginnt wieder die Saison für die willigen Holzfäller der Bahn. Auch wenn man sich sonst um Gesetze und planrechtliche Bestimmungen nicht kümmert, hat die Bahn sich bisher an diesen einen Punkt gehalten. Baumfällungen finden von Oktober bis März statt, wie es der Planfeststellungsbeschluss vorschreibt.

Der Mittlere Schlossgarten ist zwar weitgehend zerstört worden, doch mussten ein paar Bäume bisher verschont werden. In den Unterlagen zur Parkrodung sind sie lediglich als "zurückgestellt" bezeichnet. Diese Ausnahmen wurden als Artenschutzmaßnahme begründet. Zum einen lässt man derzeit den Bereich entlang der Schillerstraße stehen, weil hier in einigen Bäumen Juchtenkäfer nachweisbar sind. Dazu kommen zwei alte Platanen, in denen Fledermäuse ihr Winterquartier bezogen hatten.

Der Artenschutz kümmert die Bahn allerdings sehr wenig. Es ist davon auszugehen, und das Wort "zurückgestellt" bestätigt es, dass hier nur temporär ein Verzicht geübt wird. Langfristig sind diese Bäume erheblichen Gefahren

Mit dem Juchtenkäfer verhält es sich wie mit dem Mineralwasser: Sie sind überall anzutreffen, nur nicht im Baufeld für den Trogbahnhof, um den jede natürliche Erscheinung einen Bogen macht.

ausgesetzt. Sie stehen Baustraßen und Dükerbauwerken im Weg. Die erheblichen Grundwasserabsenkungen werden die Vitalität der Bäume in Mitleidenschaft ziehen. Die unmittelbar angrenzenden tiefen Baugruben und die zu erwartenden Vibrationen durch das Einrammen der Trogpfähle werden den Lebensraum der Juchtenkäfer weiter beeinträchtigen. Sollten die Bäume diese jahrelange Tortur überleben, stehen sie am Ende dem acht Meter hohen Erdwall über dem Trog im Weg, der zur Schillerstraße hin abgeböscht werden muss.

Platanengruppe 2+1

Alle drei Platanen sind ungefähr 170 Jahre alt und ausgesprochen vital. Sie weisen zahlreiche Höhlungen auf. Der Gutachter Claus Wurst, der bereits in zwei Fällen seiner Begutachtung nachweisbar falsch gelegen hat, will jedoch nur in den beiden Bäumen am Steg Juchtenkäfer gefunden haben. Die Platane 221 hält er sogar als ungeeignet für eine Besiedelung. Aus dieser Expertise folgt dann, dass der Baum für die geplante Baustraße gefällt werden kann.

Selbst wenn in dieser Platane derzeit keine Juchtenkäfer leben würden, stellt der Baum doch einen elementaren Habitatbaum für die verbliebenen, nur wenige Meter entfernten, Populationen dar.

Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass bereits zahlreiche Potentialbäume gerodet wurden. Wer den Bestand der Juchtenkäfer schützen will, muss an dieser Stelle einen ausreichend großen Schutzbereich mit mindestens 20 Meter Radius durchsetzen. Derzeit sieht die Realität an dieser Stelle ganz anders aus. Die Bäume werden seit dem März 2012 systematisch beschädigt. Zumindest für die besiedelten Bäume besteht die Forderung des Gutachters Wurst, dass alles unterlassen werden muss, was die Vitalität der Bäume beeinträchtigt.

Zerstören ohne zu Fällen

Die zweifelhafte Absicht, Arten zu schützen, die sich von allein im Mittleren Schlossgarten ausgebreitet haben, hat der Öffentlichkeit etliche Meter Bretterzaun gebracht. Dahinter soll es einen "Kuraufenthalt" (Bodo Siegert) für die bedrohten Tiere gehen.

Einige der Rohranker an den Platanen 320, 321 und 221.

Die Verankerungen für die Zäune, gut einen Meter lange Eisenrohre mit einem Durchmesser von ca. 6 cm, wurden direkt zwischen die Starkwurzeln der Bäume geschlagen. Dabei kommt es zu Beschädigungen, die in der Folge Pilzbefall auslösen. Ein schonendes Befestigen der Zäune wäre sicher möglich gewesen. Das macht man aber nur, wenn man am Erhalt der Platanen interessiert ist. Da zumindest die Platanen am Leitner-Steg von Juchtenkäfern besiedelt sind, wäre zu prüfen, ob diese Schädigung der Habitatbäume als Straftat zu werten ist.

Der Platane wird schlicht das Wasser abgegraben.

Der Zaun um die Platane 221 soll den Baum vor der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen schützen. Auch diese Maßnahme geht auf die Empfehlung des Gutachters Bodo Siegert zurück. Dieser verkennt jedoch völlig, dass die Krone der Platane stark eingekürzt wurde. Der Zaun endet im aktuellen Traufbereich des Baumes, so als wären durch den Kronenschnitt die Wurzeln des ca. 30 Meter hohen Baumes zurückgewachsen.

Im August wurde nun begonnen, in diesem Bereich tiefe Gräben anzulegen. Dadurch wird dem Baum quasi das Wasser abgegraben, welches von den Feinwurzeln aufgenommen werden könnte. Auf der anderen, der Wegseite, ist die Wasseraufnahme durch die Asphaltdecke stark beeinträchtigt. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass es den Projektbetreibern in keiner Weise um den Erhalt der Bäume, oder um die in ihnen lebenden Arten, geht. Gar von einem Artenschutzkonzept zu sprechen, ist völlig verfehlt. Der verbliebene Lebensraum der Juchtenkäfer wird immer weiter eingegrenzt, bis die Überlebensfähigkeit der Populationen nicht mehr gegeben ist.

Längst zur Fällung freigegeben

Die im Januar vorgelegte Artenschutzrechtliche Prüfung der GÖG, und auch der Rodungsplan der Bahn, sehen den Erhalt der von Fledermäusen als Winterquartier genutzten Bäume nur bis Oktober 2012 vor. Zur Verhinderung einer weiteren Nutzung sollten die Höhlen im Laufe des Jahres verschlossen werden. Juristisch wurde dieses Gutachten, das im Übrigen den Juchtenkäfer komplett ausblendet, implizit abgesegnet durch die Entscheidung des VGH, dass die Bäume des Schlossgartens gerodet werden können.

Auf der juristischen Ebene sind seit dem keine Aktivitäten bekannt geworden, die Gutachtenlage neu zu ergründen. Ergebnisse einer angekündigten Ökologischen Bauaufsicht wurden nicht bekannt. Faktisch wurde, eher zufällig, nachgewiesen, dass bereits zum zweiten Mal, Juchtenkäfer vernichtet wurden. Die vorliegenden Gutachten und die darauf basierenden Maßnahmen sind also zum Artenschutz untauglich. Solange man aber daran nicht rüttelt, steht die weitere Vernichtung, zumindest potentieller, Habitatbäume an.

 

Platane 221 vom Planetarium aus betrachtet.

Es ist durchaus möglich, dass man sich auf Seiten der Bahn noch etwas zurückhält und den Auftrag zur Fällung erst ausführen lässt, wenn die Wahl des Oberbürgermeisters von Stuttgart abgeschlossen ist. Nach der Wahl tritt bis zur Amtsübergabe allerdings ein für die Bäume gefährliches Vakuum ein. Den bisherigen Amtsinhaber dürfte dieser letzte Akt des dreckigen Geschäfts sicher nicht mehr stören. Der Nachfolger bekäme ein freies Baufeld serviert.

Die Landesregierung schläft weiter

Eine wesentliche Veränderung ist inzwischen eingetreten. Das Planänderungsverfahren für den Bauabschnitt 1.1 wurde nun öffentlich ausgelegt. Die Bahn musste damit eingestehen, das Bauwerk nur vollenden zu können, wenn sie 125% mehr Grundwasser aus dem Boden pumpen kann, als bisher genehmigt. Auch an diesem Punkt wird die Mangelhaftigkeit der Gutachten deutlich, mit denen die Bahn die Planfeststellung erreichen konnte.

Diese gravierende Veränderung rechtfertigt einen Baustopp. Denn würde die beantragte Genehmigung versagt, ist der Trogbahnhof nicht in der genehmigten Art zu realisieren. Schon seit Juni 2011 hat die Landesregierung ein qualifiziertes Rechtsgutachten auf dem Tisch, dass sehr eindeutig zu dem Schluss kommt, dass es keine rechtliche Grundlage mehr gibt, welche die Zerstörungen an den Kulturschätzen der Stadt rechtfertigen kann.

Diese rechtliche Sicht hat selbstverständlich immer noch Gültigkeit. Der Umfang der Planunterlagen unterstreicht die Schwere der notwendigen Änderung. Bis zum Abschluss des Verfahrens wird sicher noch ein Jahr vergehen. Bis dann möglicherweise mit den Baugruben begonnen werden kann, wird das Frühjahr 2014 angebrochen sein.

Es wäre vor einer Rodung des Schlossgartens problemlos möglich gewesen, das Vorkommen geschützter Arten gründlich zu erfassen. Wenn man Bäume mit dem Ziel ihrer Erhaltung hätte verpflanzen wollen, so wäre genügend Zeit für eine fachlich begründete Vorbereitung gewesen. Die ganze Eile war vorgetäuscht, die Ausnahmen und die Feststellung sofortiger Vollziehbarkeit waren unbegründet.

Wie groß muss der Schaden noch werden?

Platane 160 an der ehemaligen Zufahrt zum ZOB.

Die vorzeitige Vernichtung des Parks bedeutet aber auch, dass den Menschen, den Tieren und den Pflanzen für volle zwei Jahre ein wichtiger Lebensraum entzogen wurde. Dies geschah wissentlich, denn die Fehler des Grundwassermodells und die Notwendigkeit eines vollumfänglichen Planänderungsverfahrens sind lange bekannt gewesen. Faktisch ist nun ein Umweltschaden eingetreten, denn die festgelegten Ausgleichsmaßnahmen zur Parkrodung sahen einen unmittelbaren Baubeginn nach der Rodung vor. Der jetzige Zustand, zwei Jahre zusätzlicher Verlust an Lebensraum, wird nirgends berücksichtigt.

Die nun zur Fällung anstehenden Bäume sind lediglich Bauwerken im Weg, die zur Baulogistik zu zählen sind. Die Platane 160 am Feldherrenhügel steht wohl zusätzlich der Umplanung des Dükers in der Straße Am Schlossgarten im Weg. Für den Erhalt eines vitalen und ca. 200 Jahre alten Baumes sollte eine Umplanung dieser Nebenbaustelle selbstverständlich sein. Entgegen der Auffassung des Gutachters Wurst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass auch diese Platane Juchtenkäfer beherbergt.

Placebo-Politik am Rande

Statt also endlich durch alternative Gutachten die Forderungen zum Erhalt der restlichen Bäume zu untermauern, greifen die städtischen Grünen zu den bewährten Mitteln der Ruhigstellung. Mit einem Antrag im Gemeinderat fordern sie, die Bäume entlang der Schillerstraße als Naturdenkmal (§28 BNatSchG) festzusetzen.

Die Kriterien für Naturdenkmäler hätten natürlich auch für die meisten der bereits gerodeten Bäume gegolten. Nun geht es hier aber nicht um den Erhalt von Einzelschöpfungen der Natur, sondern um den Erhalt eines (Rest-)Lebensraumes, der dann auch den fachlichen Anforderungen entsprechend ausgestaltet sein muss. Die tatsächlich vom Juchtenkäfer besiedelten Bäume sind auch ohne weitere Schutzausweisung durch die Artenschutzgesetze der EU geschützt. Ob ein verbliebener Parkbestandteil überhaupt als Naturdenkmal anzusehen ist, ist rechtlich durchaus umstritten.

Immerhin verlangt man die Einbeziehung der Platane 221 und scheint damit (endlich) zu verstehen, dass es sich um eine Einheit von Bäumen handelt. Fragwürdig ist aber, warum dieser Antrag die Platane 160 am Feldherrenhügel nicht mit einschließt. Man bleibt hier also auf halbem Wege stehen, derweil man der Bahn die Signale auf Volldampf offenhält.

Die zur Fällung vorgesehenen Platanen 221 und 160, etwas unterhalb bzw oberhalb vom Kronenansatz.

 

Für diese beiden und alle anderen noch überlebenden Bäume können weiterhin Baumpatenschaften abgeschlossen werden. Der Rechtshilfefond braucht die Unterstützung, um den Menschen helfen zu können, die wegen ihres legitimen Widerstandes gegen den Frevel vor den Gerichten abgeurteilt werden.

Die Bäume des Schlossgartens können in unserer Baumliste ausgewählt werden. Eine Filterung auf die überlebenden Bäume im Schlossgarten oder die im Stadtgebiet verteilten Exemplare ist dort einfach möglich.


Jochen Schwarz
Dipl.-Ing. der Landespflege

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