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05.03.2012

» Das Versagen des Artenschutzes

Die zweite Population des Juchtenkäfers wurde für S21 vernichtet

In einer gefällten Platane des Mittleren Schlossgartens wurde nun eine von Juchtenkäfern besiedelte Mulmhöhle entdeckt. Der Skandal des 1.10.2010 hat sich wiederholt. Damals wurde eine Platane illegal gefällt, die eine Population des Juchtenkäfers beheimatete. Auch in diesem Fall sind die Hinweise auf das Vorkommen erdrückend gewesen. Alle Verantwortlichen und Beteiligten, bis hin zu den Polizeigewerkschaften, wurden am 14.2.2012 begründet vor der Gefahr gewarnt, erneut eine Umweltstraftat zu begleiten. Es gab keine begründbare Notwendigkeit, den Schlossgarten zu roden. Die Anforderungen des Artenschutzes wurden wieder ignoriert. Der streng geschützte und vom Aussterben bedrohte Juchtenkäfer wird in Stuttgart systematisch vernichtet.

Juchtenäfer im Schlossgarten
Der Juchtenkäfer an einer Platane im Schlossgarten

Die ganze Misere nimmt ihren Lauf mit einem unzulänglichen Gutachten über das Vorkommen von Juchtenkäfern in Stuttgart. Die Qualität des Gutachtens wurde von keiner dafür zuständigen Stelle hinterfragt. Selbst als nachweisbar wurde, dass der Gutachter irrte, als er ein Vorkommen des Juchtenkäfers in der illegal gefällten Platane für unwahrscheinlich erklärte, sah sich niemand aufgefordert, endlich die Population nicht nur nach Augenschein zu erfassen. Diese Blindheit müssen sich alle ankreiden lassen, auch der BUND. Gerade mit dem VGH-Urteil zum Baustopp des Grundwassermanagements im Rücken, in dem die notwendige Anpassung von planfestgestellten Plänen gleichgesetzt wird mit der Aktualisierung von Artenschutzbeurteilungen, hätte genutzt werden müssen, ein ordentliches Gutachten zu erstellen. Der von der GÖG im Auftrag der Bahn erarbeitete Maßnahmenkatalog zum Artenschutz beinhaltete nicht eine einzige Aussage zum Juchtenkäfer.
 
Es kann nicht sein, dass für jeden sichtbare Höhlen in einer Platane nicht bemerkt werden und diese somit nicht Teil der Untersuchung sind. Diese Platane war von gleichartiger Dimension und ähnlichem Alter, wie jene, in denen Juchtenkäfer nachgewiesen wurden. Die Entfernung zu den Nachweisorten lag bei ca. 70 Meter. Also sogar innerhalb dessen, was dieser Gutachter als Aktivitätsradius betrachtet. Im Übrigen abweichend von der herrschenden wissenschaftlichen Auffassung, nach der von bis zu 500 Meter auszugehen ist.
 
Die hinter dem Bretterzaun verbliebene Metapopulation ist nun vollständig isoliert. Sie findet keine „Trittsteine“ zu den Habitaten am Nilsee. Das wäre für den genetischen Austausch zum Überleben notwendig.
 
Mehr Hintergrundinformationen hatten wir in unseren Artikeln zum Artenschutzgutachten und in unserem dringlichen Appell zur Verhinderung der anstehenden Rodung zusammengestellt.

Es sind nur 70 Meter zwischen dem Fundort von Juchtenkäfern und der Platane am Parkzugang.

  

Ein Skandal wird entdeckt

Der gefundene Stamm
Blick in die Höhle des gefundenen Stammes

Am 17.2.2012 wird die Platane am Zugang des Parks gefällt. Der Stamm wurde mit einem K gekennzeichnet, was in der perversen Auffassung der Initiatoren des Frevels für Kunst stehen soll. Das etwa fünf Meter lange Stammstück ist inzwischen von der Baustelle verschwunden. Ein Teilstück wurde in den Feuerbacher Wald gebracht, zusammen mit anderen Stämmen, die einem vermeintlich ökologischem Totholzkonzept dienen sollen. Auch darüber wird noch zu berichten sein.
 
Am 21.2.2012 erreichte uns die Meldung, dass über 50 Stämme aus dem Schlossgarten, zum großen Teil mit Kennzeichnungen, in den Wald gebracht worden seinen. Da immer klarer wurde, dass die Bahn von ihrem Rodungsplan abweicht, und angeblich verpflanzbare Bäume einfach fällen lässt, fuhren wir noch am Abend zu der bezeichneten Stelle. Mit V gekennzeichnete Bäume fanden wird nicht. Dafür lag dort das obere Stammstück der Platane, in der wir Juchtenkäfer vermutet hatten.
 
In Anwesenheit eines Rechtsbeistandes wurde der Baum genauer untersucht. Den angehängten Bildern von der Fällung ist eindeutig zu entnehmen, dass es sich um genau dieses Exemplar handelt. In dem vom Fallen aufgeplatzten Stamm ist eine gut einen Meter tiefe Höhle verblieben, in der sich farblich unterschiedliche Mulmhorizonte fanden.
 
Der BUND wurde über diesen Fund umgehend informiert. Wir hielten unser Bildmaterial vom Fundort zurück, damit Experten in der Lage sind, das Material möglichst unverfälscht zu untersuchen. Es waren weitere Stücke der Kastanien von der Liegewiese, ebenfalls mit Höhlen, unter den Stammstücken. Auch diese waren vom Gutachter der Bahn nicht untersucht worden.

Artenschutz ist eben doch Luxus

Es hätte also für den BUND die Möglichkeit bestanden, mit diesem Material einen Nachweis über die Unzulänglichkeit der Gutachten und Genehmigungen zu führen. Daran hat man ganz offensichtlich kein Interesse.
 
Obwohl zwei weitere Bäume, in denen Juchtenkäfer zu vermuten sind, noch in diesem Jahr gefällt werden sollen. Obwohl die Dimensionierung des sogenannten Schutzgebietes, die ebenfalls auf den begutachtenden Biologen zurückgeht, nicht dem wissenschaftlichen Stand entspricht. Obwohl absehbar ist, dass diese Bäume ihre Vitalität durch das Abpumpen des Grundwassers einbüßen werden, und damit als Lebensraum für die Juchtenkäfer ausfallen werden. Es ist noch lange nicht der Zeitpunkt erreicht, an dem man sich mit dem Erreichten für den Naturschutz zufrieden geben kann.
 
Nach einer Woche, als sich der Fund kaum noch zurückhaltend behandeln ließ, haben wir noch das Alter des Stammstücks mit 170 Jahren ausgezählt Im Mulm der Höhle fanden sich Schichten von Kotpillen, die vom Juchtenkäfer stammen dürften.

Kotpillen
Kotpillen aus der Mulmhöhle


Es wäre also dringend erforderlich gewesen, den Verdacht ernst zu nehmen, und den Fundort, genauer zu untersuchen. Schließlich gibt es viele Tiere im Wald, oder Hunde von Spaziergängern, die solche Höhlen durchwühlen. Oder die Witterung zerstört den Mulm, bzw. was davon nach Fällung und Transport noch übrig geblieben ist.

Eine Larve des Juchtenkäfers

Wenn also alle Experten schlafen und die interessierten Menschen nicht mehr wahrnehmen wollen, dann ist es sehr erfreulich, wenn die eigene Initiative Einzelner zum Erfolg führt. Wir veröffentlichen hier also exklusiv eine gefundene Larve aus der Mulmhöhle.

Larve am Boden auf Mulm
Eine Larve am Boden auf dem Mulm
 
Vergrößerte Larve
Weißer Körper, gelblich-braune Augen und bräunlich glänzende Punkte an den Seiten, Beine schon ausgebildet
 
Vergrößerung der Larve
Deutlich erkennt man bräunliche Punkte an der Körperseite
 

Sollte es sich erweisen, und davon ist derzeit auszugehen, dass es sich um Juchtenkäfer handelt, dann wurde auf der Baustelle des Projektes Stuttgart 21 zum zweiten Mal gegen europäisches Recht in massiver Weise verstoßen. Danach reicht bereits der begründete Verdacht, es könne sich um Habitatbäume geschützter Arten handeln aus, um umfassende Untersuchungen einzuleiten. Das ist nicht geschehen, vielmehr wurde billigend in Kauf genommen, dass bedrohte Tierarten in ihrer Existenz zerstört werden.
 
Von einer ökologischen Bauaufsicht war beim Rieseln des Mulms nichts zu sehen. Der Bagger zerstört die Höhle und den Mulmkörper. Es reicht offensichtlich nicht aus, dem EBA die Bauaufsicht zu überlassen, und diese Behörde lediglich aufzufordern, doch bitte das Richtige zu tun. Dieses EBA hat nun mehrfach unter Beweis gestellt, den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Bauablauf bzw. dessen Überwachung nicht gerecht werden zu können.
 
Es muss endlich Schluss damit sein, dass jeder Verantwortliche sich reinwäscht durch den Verweis auf einen vermeintlichen Experten, oder gar ein ganzes Forum davon. Diese agieren nämlich häufig im Sinne eines Auftraggebers. Die Politik muss endlich selbst zum Handelnden werden, anstatt sich auf die Zuschauerrolle zu beschränken. Die Naturschutzbehörden müssen sich auch durchsetzen dürfen, wenn es um eine geforderte Abstimmung von Maßnahmen geht.
 
Es ist dringend geboten, das unzureichende Gutachten zum Juchtenkäfer, wissenschaftlich begründet und transparent, nachvollziehbar neu zu erstellen. Schließlich stehen noch zahlreiche Habitatbäume und weitere, die zumindest das Potential dazu haben. Dazu gehören im Besonderen die beiden Platanen, die noch in diesem Jahr gefällt werden sollen. Es ist ein Konzept zu erarbeiten, wie die verbliebene Metapopulation erhalten werden kann, anstatt sie für ein Grundwasserexperiment ungewissen Ausgangs auf's Spiel zu setzen.
 
Dazu muss der eingezäunte Bereich auch juristisch abgesichert geschützt werden, anstatt diesen Schutz in das Ermessen der Bahn zu stellen. Und solange weder Schutz noch Konzeption vorliegen muss endlich Schluss damit sein, naturzerstörende Fakten zu schaffen.

Jochen Schwarz, Dipl.-Ing. der Landespflege, AK Baumpaten

Hinweis:
Alle Bilder sind Eigentum der Fotografen. Auf Anfrage vermitteln wir gerne die Überlassung von höheren Auflösungen des Bildmaterials.

Artikel incl. der Bilder als pdf laden

Weitere Bilder der Dokumentation

 

Die markante Astgabel befindet sich in ca. 5 Meter Höhe. Es wurden 170 Jahresringe gezählt
 
Die Höhlenöffnung befindet sich am oberen Bildrand. Weitere Höhlen darüber waren in Starkästen
 
Im Stammfuß befindet sich ebenfalls eine Höhlung, die allerdings nicht bis zu der von uns untersuchten reicht.. Noch ist der Stamm nicht zertrennt
 
Der Greifarm zerstört den deutlich sichtbaren Mulmkörper
 
Der Mulm rieselt durch die Höhlung im Stamm auf den Boden. Von einer ökologischen Bauaufsicht ist weit und breit nichts zu sehen
 
Aufgereiht liegen ca. 50 Stämme am Wegrand. Die unteren Abschnitte sind mit T markiert
 
Deutlich erkennbar sind die verschiedenen Mulmhorizonte
 
Der Mulm ist sehr unterschiedlich strukturiert
 
Die Kotpillen auf einer Hand mit Mulm und zersetzten Holzteilen
 
Blick auf die Innenwand des Stammes und den Mulmboden