Aktiv gegen Stuttgart 21Aktiv gegen Stuttgart 21
14.02.2012

» Stoppen Sie die geplante Rodung des Mittleren Schlossgartens

An den Ministerpräsidenten, den Wirtschaftsminister, den Innenminister, den Umweltminister des Landes Baden-Württemberg; die höhere Naturschutzbehörde des Regierungspräsidiums Stuttgart; den Polizeipräsidenten der Stadt Stuttgart; die Gewerkschaft der Polizei, die Deutsche Polizeigewerkschaft; das Eisenbahnbundesamt.

Lassen Sie nicht erneut ein Umweltverbrechen zu, wie am 30.9. und 1.10.2010 geschehen.

Es fehlen weiterhin wesentliche Begutachtungen und Genehmigungen.
Es darf nicht sein, dass man erneut im Nachhinein den Verlust bedeutender Arten konstatiert. Dies ist derzeit nicht ausgeschlossen.

Immer noch fehlt ein abgestimmter Landschaftspflegerischer Ausführungsplan

Am 30.9.2010 hat das Eisenbahnbundesamt (EBA), als oberste Bauaufsicht des Projektes S21, der DB ProjektBau GmbH das Fällen von Bäumen im Mittleren Schlossgarten befristet verboten. Es wird angeführt,
 

„[]gemäß Nebenbestimmung A.VIII 5.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.01.2005 zum Planfeststellungsabschnitt 1.1 ist die DB Netz AG, die durch die DB ProjektBau GmbH vertreten wird, verpflichtet, die Maßnahmen des Landschaftspflegerischen Begleitplanes in einer Ausführungsplanung (LAP- Landschaftspflegerischen Ausführungsplanung) konkret darzustellen und dem Eisenbahn-Bundesamt, die mit einem Abstimmungsvermerk des Regierungspräsidiums Stuttgart (höhere Naturschutzbehörde) und der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Stuttgart versehenen Pläne unverzüglich vorzulegen.“

Das EBA hatte zu diesem Zeitpunkt Kenntnis, dass wesentliche Artenschutzbestimmungen bei der beabsichtigten Fällung missachtet werden können.
 

„Mithin ist derzeit nicht erkennbar, wie der Ablauf der Bauarbeiten unter Berücksichtigung des Schutzes von Juchtenkäfern durchgeführt werden soll und daher auch nicht, ob sich Änderungen gegenüber dem planfestgestellten Vorhaben ergeben.“

Über dieses Verbot der Baumfällungen wurde sich hinweggesetzt. Unter massivem Polizeischutz wurden 27 Bäume gefällt. Die Einsatzleitung war über das Verbot informiert worden. Sie wurde, wie auch später die Öffentlichkeit, von höchsten Regierungsstellen getäuscht. Aus der StZ vom 8.10.2010 
 

„Anderthalb Stunden vor dem möglichen Beginn der Fällarbeiten meldete sich der offensichtlich irritierte Polizeipräsident von sich aus bei Amtschef Bauer. Dessen Auskunft: jawohl, das Schreiben gebe es, aber die rechtlichen Fragen seien mittlerweile geklärt. Dem Fällen der Bäume nach Mitternacht stehe somit nichts mehr entgegen.“

 

Einen Landschaftspflegerischen Ausführungsplan (LAP) erstellt man nicht mal so eben am Telefon zwischen Umweltministerium und Regierungspräsidium. Es ist bis heute nicht aufgeklärt, welchen Anteil die politische Ebene an diesen Vorgängen hatte.

In der Konsequenz wurde eine der ältesten Platanen des Schlossgartens gefällt. In ihrem Holz wurden Reste einer Population des nach europäischem Artenschutzgesetzen streng geschützten Juchtenkäfers gefunden. Zudem stand die Platane offiziell überhaupt nicht zur Fällung an. Das Übergabeprotokoll auf Seite 35 zwischen Vermögen und Bau Amt Stuttgart , als Verwaltung des Landeseigentums, und der DB Projektbau zu der GWM-Fläche, gültig ab 1.10.2010, zeigt, dass mehrere der gefällten Bäume außerhalb des Abtretungsbereiches standen – auch die Platane.
 

Am 5.10.2010 erließ das EBA mit einem Bescheid ein Verbot weiterer Baumfällungen im Mittleren Schlossgarten. Danach hat die DB ProjektBau.
 

„[]ein Konzept einschließlich einer erforderlichen Maßnahmenplanung zur Vermeidung von Schädigungen des Juchtenkäfers und seines natürlichen Lebensraumes[]“

vorzulegen. Gleiches gilt für die mögliche Schädigung von Fledermäusen. Weiterhin hat die DB ProjektBau vorzulegen

 

„[] einen verbindlichen und konkreten Bauzeitenplan für sämtliche geplanten Tätigkeiten zur Durchführung der festgestellten Pläne zu dem Projekt Stuttgart 21 einschließlich solcher die Bautätigkeit vorbereitenden Maßnahmen []“

Diese Punkte sind bis heute offensichtlich nicht erfüllbar. Denn das Grundwassermanagement (GWM) ist juristisch gestoppt. Auch hat die Bahn derzeit keine abschließenden Kenntnisse über die notwendige Dimensionierung des GWM vorlegen können. Bautätigkeiten zur Umsetzung von S21 im Mittleren Schlossgarten sind daher nicht konkret zu terminieren. Bedrohungen geschützter Arten können derzeit somit nicht durch einen angepassten Maßnahmeplan ausgeschlossen werden.
 

Auf Seite 3 des o.a. Bescheids weist das EBA nochmals darauf hin
 

„[] dass gemäß dem Planfeststellungsbeschluss eine landchaftspflegerische Ausführungsplanung, die zuvor mit der zuständigen Naturschutzbehörde angestimmt sein muss [] rechtzeitig vor Baubeginn vorzulegen ist.[]“

Es ist nicht bekannt, dass die zuständige Naturschutzbehörde beim Regierungspräsidium Stuttgart bisher einem LAP der DB Projektbau zugestimmt hätte.

Das Drama des 30.9.2010

Bezüglich der gefällten Platane gibt dieser Bescheid auf Seite 4 einen interessanten Einblick in das Geschehen am 30.9.2010. Danach hat das EBA um 9:25 Uhr, also rechtzeitig vor der Fällung und vor dem Polizeieinsatz, Kenntnis über das mögliche Vorkommen von Juchtenkäfern erlangt. Und auf Basis dieser Kenntnis die Fällung des Baumes in einer Besprechung von 18:30 bis 20:15 Uhr ausdrücklich verboten. Es erstaunt, dass diese Aufsichtsbehörde in einem Beschluss fünf Tage später zwar ein Zwangsgeld im Falle weiterer Fällungen androht, aber nicht die Handlungen gegen das ausgesprochene Verbot sanktioniert.
 

Kann das EBA seiner Aufsichtsfunktion überhaupt gerecht werden?

 

Noch mehr erstaunt es, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart nur geringe Verstöße erkennt und diese lediglich mit einem Strafbefehl gegen subalterne Mitarbeiter zu ahnden gedenkt.
 

Auf Seite 5 des o.a. Bescheides konkretisiert das EBA die Anforderungen an die Begutachtung bzgl. des Juchtenkäfers
 

„Zudem besteht Unklarheit, bei welchen Bäumen die Vorhabenträgerin das Fällen nun noch als erforderlich ansieht. Das Gutachten ist offenbar mit anderen Angaben hierzu erstellt worden, als in dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Beeinträchtigung lokaler Populationen ist das Gutachten widersprüchlich. Bei dieser Sachlage ist ein Umweltschaden zu besorgen.

Das Vorkommen des Juchtenkäfers ist ungenügend erfasst

Damit kommen wir zu dem angesprochenen Gutachten des Diplom Biologen C. Wurst vom August 2010. Es handelt sich um eine erneute Begutachtung, da dem EBA Kenntnisse zugetragen worden waren, die über die Ergebnisse zum Vorkommen von Juchtenkäfern in der Erstbegutachtung hinausgingen.
 

Bis heute liegt keine weitere Begutachtung zum Juchtenkäfer vor. Das heißt, dass die 2010 bereits erkannten Mängel immer noch nicht behoben sind. Selbst Herr Wurst schrieb auf Seite 5

 

„Hinsichtlich der unterirdischen Bautätigkeit in diesem Bereich liegen dem Gutachter keine klar definierten Aussagen vor.“

Besonders widersprüchlich erscheinen im Gutachten von Herrn Wurst die Angaben zum Flugbereich des Juchtenkäfers. Dies ist wichtig zur Abgrenzung lokaler Populationen in einem Stamm und Metapopulationen in diesem Flugbereich und darüber hinaus. Herr Wurst zitiert 160 Meter aus der Fachliteratur. Seinen eigenen Beobachtungen nach geht er von 80 Meter aus, begründet dieses aber nicht weiter. Nach neuerer Fachliteratur ist der Aktivitätsradius aber mit 500 Metern anzunehmen.

Aber schon mit den kleineren Radien wird auf dieser Karte deutlich, wie die Populationen sich im Vorhabensbereich überlagern. Es wird deutlich, welche herausragende Bedeutung die illegal gefällte Platane besessen hat. Sie ist zudem ein wichtiger Trittstein hin zur Metapopulation am Café Nil gewesen. Trittsteine bzw. der genetische Austausch sind für die Populationen überlebenswichtig.

Die Beobachtungen vieler Spaziergänger an warmen Tagen im vergangenen Sommer lassen auf weitere Habitatbäume des Käfers schließen. Fundorte lagen z.B. an der nördlichen Zufahrt des GWM-Geländes in der Nähe der gefällten Platane. Hier befindet sich eine Platane, die von Herrn Wurst 2010 noch mit negativem Befund untersucht wurde. Leider irrte sich Herr Wurst auch bei der Beurteilung der gefällten Platane.
 

Die Karte zeigt zudem geeignete Habitatbäume mit Höhlungen im Vorhabensbereich, die von Herrn Wurst nicht untersucht worden sind. Es ist gut möglich, dass die vorgefundenen Exemplare von dort stammen, oder von anderen geeigneten Bäumen in der Nähe. So befinden sich große Pappeln mit erkennbaren Pflegeschnitten in der Nähe des Planetariums, die von der geplanten Fällung betroffen sind.
 

Bedenkt man die Trittsteinfunktion der gefällten Platane, könnten Käferfunde in dieser Gegend auch darauf zurückzuführen sein.

Das Gutachten erfasst lediglich die (potentiellen) Habitatbäume. Eine quantitative Erfassung zu dem Vorkommen von Juchtenkäfern wurde nicht erstellt. Insofern sind eine Bedrohung der Population und die Ermittlung von Schutzmaßnahmen auf gröbste Schätzungen angewiesen.
 

Es wird deutlich, dass die Erkenntnisse des bestehenden Gutachtens eindeutig zu kurz greifen, um den Bestand an Juchtenkäfern hinreichend genau zu erfassen. Ohne diese Kenntnis sind aber Abschätzungen zu einem möglichen Umweltschaden, zur Vermeidung oder zu Ausgleichsmaßnahmen unmöglich.

Der Gutachter arbeitete im Unklaren

Die Fachliteratur kennt darüber hinaus keine geeigneten Maßnahmen zum Erhalt von Populationen, außer dem Schutz der Habitatbäume selbst. (FuE Runge ab S. 337). Es wird empfohlen, um derartige Bäume einen Schutzbereich von mindestens 20 Meter Radius anzulegen. Die von Herrn Wurst auf Seite 12 vorgeschlagenene Abgrenzung erfüllt diese Anforderung nicht. An diesem Bereich wird eine Baustraße entlanggeführt werden.
 

Herr Wurst stellt ausdrücklich die Forderung auf, dass
 

„[] die festgestellten Brutbäume hinsichtlich der Projektwirkungen bau-, anlage- und betriebsbedingt keinen ihren Vitalitätszustand nachteilig beeinflussenden Faktoren ausgesetzt sind.“

Da Herrn Wurst keine Kenntnisse über unterirdische Baumaßnahmen vorlagen, kann seine Beurteilung in diesem Punkt nicht ausreichen.
 

Zur Errichtung des Tiefbahnhofs ist das Einrammen von Betonpfählen über einen langen Zeitraum notwendig. Der Gutachter weist zwar auf die Empfindlichkeit ggü. Vibrationen hin, scheint aber über diese Bauarbeiten im unmittelbaren Wirkbereich nicht informiert zu sein.

Die Bahn selbst kann wesentliche Klarstellungen nicht leisten

Der Nesenbachdüker soll in unmittelbarer Nähe bergmännisch gebaut werden. Allerdings ist nach aktuellen Pressemeldungen die Bauweise des Dükers wieder unklar. Das Trogbauwerk wird ebenfalls in unmittelbarer Nähe ausgeführt. Eine Trockenhaltung der über 12 Meter tiefen Baugruben ist über mehrere Monate erforderlich. Dies wird zwangsläufig Vitalitätsstörungen an den Habitatbäumen zur Folge haben. Ein Verlust dieser Bäume wird von Herrn Wurst als
 

„nicht ausgleichbar“

begutachtet.
 

Der Lageplan Grundwassermanagement der DB Projektbau GmbH vom 18.11.2009 lässt zahlreiche Konflikte mit Bäumen bzw. Baumkronen in diesem Bereich erkennen. Es sollen in diesem Bereich mehrere Infiltrationsbrunnen angelegt werden. Da die Baumaßnahmen zum GWM gestoppt sind und bei der Bahn Unklarheit über das Grundwassermodell herrscht, können mögliche Auswirkungen auf die Vitalität der Bäume in diesem Bereich nicht abgeschätzt werden. Immerhin soll die abzupumpende Menge bereits um über 100% angehoben werden müssen.
 

Der von der Bahn beauftragte Baumsachverständige Bodo Siegert äußerte sich in dem Expertenforum am 19.12.2011 dahingehend, dass dieser Bereich gesondert bewässert werde - er bzw. sein Unternehmen damit jedoch keine Erfahrung habe.

 

Da zudem völlig unklar ist, wann die Bahn überhaupt welche Baumaßnahme durchzuführen in der Lage ist, kann derzeit die Unterbindung von Umweltschäden auch nicht sachgerecht geplant werden.

Der Erhalt der Habitatbäume und der Juchtenkäfer ist nicht gewährleistet

Herr Wurst widmet in seinem Gutachten der Tatsache der weiträumigen Rodung um die festgestellte Population herum nur wenig Raum. Dies mag in seiner Auffassung über die geringe Flugweite der Tiere begründet sein. Die Annahme jedoch, es ließen sich für den Juchtenkäfer attraktive Bäume in der Nähe pflanzen, erscheint bei dem geplanten Bauwerk mit seinem Betondeckel nicht möglich. Es ist vielmehr zu befürchten, dass die Population noch während der Bauzeit wegen des Verkümmerns der Bäume, der Isolation und den negativen Bauwirkungen ausstirbt.
 

Festzustellen ist weiterhin, dass die Bäume in dem von Herrn Wurst bezeichneten Bereich keinerlei rechtlich wirksamem Schutz untergeordnet werden. Eine planungsrechtliche Verankerung des Schutzgebietes ist das Mindeste, was zunächst zu leisten ist.
 

Es handelt sich hier lediglich um Absichtserklärungen der Vorhabensträgerin. Die Bäume sind auf der Baumfällliste eingetragen und nur als „zurückgestellt“ gekennzeichnet. Die ggf. notwendige Durchsetzung von Artenschutzmaßnahmen ist auf dieser Basis nicht gewährleistet, sondern vor allem dem guten Willen der Bahn anheim gestellt. Dieser Zustand dürfte für eine streng geschützte Art einmalig sein.

 

Die Vorgänge um den Artenschutz zum Juchtenkäfer im Mittleren Schlossgarten sind mit Dringlichkeit an die EU-Umweltkommission weitergeleitet. Eine Anfrage von dort an die BRD läuft bereits.


Jochen Schwarz, Dipl..-Ing. der Landespflege
Arbeitskreis Baumpaten

 

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