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14.11.2011

» Bahn kann S21-Plus nicht umsetzen

Der eigene Gutachter erwartet einen Misserfolg der Großbaumverpflanzung

Das Schlichtungsverfahren unter Heiner Geißler endete mit der Verpflichtung, dass alle Parkbäume verpflanzt werden müssen. Ausgenommen davon seien nur kranke und überalterte Bäume. Unter dem Namen S21-Plus wurde diesem Schlichterspruch von allen Seiten zugestimmt. Inzwischen hat die Deutsche Bahn AG ein Gutachten von einem vereidigten Baumgutachter erstellen lassen. Zu prüfen war der Gesundheitszustand der Großbäume im Mittleren Schlossgarten. Weiterhin wurde untersucht, welche Verfahren zur Verpflanzung zur Anwendung kommen sollen und welche Erfolgsaussichten das jeweilige Verfahren besitzt. Als Fachleute und Parkschützer haben wir das Ergebnis analysieren können und mit unserem eigenen Datenbestand abgeglichen.

Das Gutachten betrachtet jedoch nur einen Teil der Parkbäume, ausgespart wurde der Bereich entlang der Schillerstraße. Auch die Bäume am ehemaligen ZOB und am Bahnhof wurden nicht begutachtet. Dafür ist ein Bereich nördlich des Planetariums deutlich größer, als von uns bisher erwartet. Es macht also den Eindruck, dass konkrete, naheliegende Baumaßnahmen in den begutachteten Bereichen anstehen.

Der Baumgutachter kommt zu dem Schluss, dass 80% der Parkbäume im Mittleren Schlossgarten absolut gesund sind. Bei weiteren 17% wurde eine Schwächung erkannt, die aber durch übliche Pflegemaßnahmen ausgleichbar ist. Stadtbäume sind, auch in Parks, sehr vielen belastenden Situationen ausgesetzt, so dass die Pflege, z.B. durch die Gärtner der Wilhelma, unabdingbar ist. Nur bei 3% des Bestandes wurden Schäden festgestellt, die z.T. durch die rabiaten Fällungen am 1.10.2010 verursacht wurden. Dazu gehören Abbrüche von Ästen, die nicht ordentlich versorgt wurden. Auch das wäre also im normalen Rahmen einer Parkpflege zu behandeln. Lediglich bei einem Baum kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass eine Fällung anzuraten wäre. Bei einem weiteren Baum könnte eine Pilzerkrankung vorliegen.

Das Ergebnis dieses Teils vom Gutachten deckt sich also mit unseren eigenen Beobachtungen und dem bereits im Auftrag von Stuttgarter Bürgern tätigen Baumgutachter. Die Ausnahmeregelung, dass kranke und altersschwache Bäume gefällt werden können, kommt im Mittleren Schlossgarten somit nicht zum Tragen.

Es wurde weiterhin untersucht, mit welchem Verfahren eine Verpflanzung durchgeführt werden kann. Neben der bereits bekannten Benutzung von Rundspatenmaschinen, wie sie bei der Beseitigung der Bäume am Nordausgang des Bonatz-Bahnhofs eingesetzt wurden, schlägt der Gutachter den Einsatz einer Plattformtechnik vor.

Dabei sollen Bäume, die für die Rundspatenmaschinen (max. Durchmesser ist drei Meter) zu groß sind, mit Plattformen unterfahren werden. Auf diesen Plattformen stehend, sollen sie dann mit Hilfe von Schwerlastkränen weggehoben werden können. Bei den ganz großen Exemplaren sollen zusätzlich Schienen verlegt werden, auf denen dann die Plattform mit dem Baum verschoben werden soll.

Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Bäume scheint der Einsatz von Rundspatenmaschinen ausgeschlossen zu sein. Ob das aber wirklich angemessen ist, werden wir im Folgenden noch genauer betrachten.

 

Die Auswertung der Technik macht schon auf den ersten Blick deutlich, dass der vorgesehene Bahnhofstrog von den stärkeren Bäumen bestanden ist. Rundspatenmaschinen sollen eher in Randbereichen des Mittleren Schlossgartens zum Einsatz kommen. Dort stehen dann auch die im Vergleich eher kleineren und jüngeren Bäume.

Besonders interessant an dem Gutachten ist jedoch die Bewertung, inwieweit die ausgewählte, machbare Technik einen Erfolg erwarten lässt. Neben der Größe der Bäume spielen dabei auch die Standortverhältnisse eine Rolle. Bäume in Gruppen oder einem besonders dichten Stand, können nur schwer als Einzelexemplare ausgegraben werden, ohne Nachbarbäume zu beschädigen.

Für 39% der Parkbäume liegt die Erfolgschance unter 50%, auch wenn man die technischen Möglichkeiten voll ausreizt. Bei 26% der Bäume ist davon auszugehen, dass sie eine Verpflanzung nicht überleben werden. Das sind vor allem die großen, den Charakter des Mittleren Schlossgartens bildenden Exemplare. Und es ist zu beachten, dass der Bereich entlang der Schillerstraße, wo ebenfalls sehr große Platanen stehen, nicht in die Untersuchung eingeflossen ist.

Umgekehrt hieße das aber auch, dass 61% der Bäume prinzipiell verpflanzbar sind. Ein Ergebnis, dass die Bauherren bestimmt gerne in die Öffentlichkeit transportieren möchten.

Bei genauerer Analyse fällt jedoch auf, dass sich der Gutachter durchgängig nicht an die Regel gehalten hat, nach der ein Ballen mindestens den zehnfachen Durchmesser des Stammdurchmessers haben soll. Das bedeutet, dass der wesentlich unkompliziertere Einsatz der Rundspatenmaschinen überproportional häufig zum Ansatz kommt.

Daher haben wir unsere eigenen Erhebungen zum Baumbestand im Mittleren Schlossgarten herangezogen. In 74% der Fälle, die der Gutachter als chancenreich einstuft, wird eine zu kleine Maschine vorgesehen. Es ist also bei diesem Vorhaben von einer deutlich höheren Ausfallquote auszugehen, die dann bei 84% liegt. Alle Großbäume werden keine Chance haben.

Ob die Plattformtechnik überhaupt einen Sinn macht, außer einer Beruhigung der Öffentlichkeit, steht sehr in Frage. Das hohe Gewicht der in dieser Art ausgegrabenen Bäume, im Einzelfall ist hier von mehreren 100 Tonnen auszugehen, lässt nur erwarten, dass diese Bäume verschoben werden sollen. Es ist jedoch vollkommen unvorstellbar, wie dieses Vorhaben mit den Belastungen durch die Baulogistik dieser Großbaustelle zu vereinbaren ist. Es ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass eine Verpflanzung innerhalb des Mittleren Schlossgartens, wegen der Absenkung des Grundwassers, einem zusätzlichen Problem ausgesetzt wäre.

Die im Gutachten betrachtete Plattformtechnik hat uns also überaus stutzig gemacht. Irgendwie kam uns dieses Abenteuer bekannt vor. Bei dem Gutachter handelt es sich um das Büro von Bodo Siegert. Eben genau der, der im Frühjahr, nach der Schlichtung, seine großartigen Ideen in der Öffentlichkeit präsentierte.

Es fiel uns schon damals die Aussage auf, dass auch große Bäume nur einen Meter tief wurzeln würden (das ist bei der Gewichtsberechnung ja von sehr großer Bedeutung). Das also ausgerechnet dieser Gutachter im Auftrag der Deutschen Bahn tätig wird, ist sehr bezeichnend. Betrachtet man sich noch einmal die Ergebnisse, könnte es auch verständlich werden, warum diese Plattformtechnik dann doch recht häufig zum Einsatz kommen soll. Wer einmal danach recherchiert, um evtl. Referenzen zu finden, landet schnell auf der Seite der Nürnberger Baumpflege. Das Layout der Seite lässt es schon ahnen: unter Kontakt findet sich die gleiche Adresse, wie beim Gutachter. Nehmen wir mal die in der Zeitung genannten Beträge von bis zu 70.000€ pro verpflanztem Baum. Berücksichtigen wir die 200.000€, die die Bahn für die Verpflanzung der 16 Bäume am Nordausgang ausgegeben hat, dann ist mit einem zweistelligen Millionenbetrag zu rechnen.

Immerhin findet man im Internetauftritt von Herrn Siegert den Verweis auf die unbedingt erforderlichen Vorbehandlungen zu verpflanzender Bäume. Dazu sind nach unserer Einschätzung mindestens zwei Vegetationsperioden erforderlich. Wir stellen fest, dass bisher nichts dergleichen durchgeführt wurde. Eine Verpflanzung der Bäume im jetzigen Zustand wäre also einer mutwilligen Zerstörung gleichzusetzen.

Wir weisen auch darauf hin, dass selbst die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bereits bei den ersten Eingriffen in den Schlossgarten strafbares Handeln festgestellt hat (und wir verlangen weitere Ermittlungen dazu). Bis heute liegt kein vorgeschriebener Landschaftspflegerischer Ausführungsplan vor. Das Vorkommen des Juchtenkäfers im geplanten Baubereich findet immer noch keine, dem vorliegenden Artenschutzgutachten angemessene, Berücksichtigung. Die Durchführung von Baumfällarbeiten lässt also weitere Straftaten befürchten.

Zum guten Schluss möchten wir es uns nicht nehmen lassen, ein besonders krasses Beispiel aus dem Gutachten genauer darzustellen.

Es handelt sich um einen Bergahorn auf der großen Liegewiese. Der Baum ist über 20 Meter hoch, seine Krone hat einen Durchmesser von etwa 12 Meter, der Stammumfang beträgt 2,30 Meter. Dieser Baum soll mit einer Rundspatenmaschine verpflanzbar sein. Der Gutachter der Bahn erwartet den Erfolg der Maßnahme.

Wir erwarten das Ende von Stuttgart 21.

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